Karl Lauterbach von "explodierter" Zahl der Pflegebedürftigen überrascht


28.05.2024 - Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) ein Interview zur Lage der Pflege und Pflegeversicherung gegeben. Darin zeigte er sich u.a. von der für ihn offenbar unerwarteten Entwicklung überrascht, dass "in den letzten Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen geradezu explosionsartig angestiegen" sei. Der dem DVLAB nahestehende Bremer Gesundheitsökonom Prof. Dr. Heinz Rothgang wiederum staunte einen Tag später über den überraschten Lauterbach.

Der Hintergrund

Das RND hatte Lauterbach u.a. gefragt, was er dagegen tun wolle, dass wegen des Fachkräftemangels die Suche nach einem Pflegedienst oder Heimplatz immer schwieriger werde und auch die Kosten rasant steigen würden.

In seiner Antwort hatte der Bundesgesundheitsminister zunächst ein "akutes Problem in der Pflegeversicherung" analysiert, welches er der Explosion der Zahl der Pflegebedürftigen zuschrieb: Demografisch bedingt hatte Lauterbach 2023 offenbar nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen gerechnet. "Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000. Eine so starke Zunahme in so kurzer Zeit muss uns zu denken geben. Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau." Die Ursache für den "Aufwuchs in dieser Größenordnung" vermutet der Minister in einem "Sandwicheffekt": Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kämen nun die ersten pflegebedürftigen Babyboomer hinzu. "Es gibt also erstmals zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen sind – die Babyboomer und deren Eltern."

Sofort nach Veröffentlichung des Interviews wies der Bremer Pflegeforscher Heinz Rothgang die Darstellung des Ministers zurück. "Die gegenwärtige Entwicklung bei der Zahl der Pflegebedürftigen weicht nicht deutlich von den zu erwartenden demografischen Effekten ab", sagte er dem RND einen Tag später. Die Zahlen findet Rothgang daher "nicht wirklich überraschend". Und sollte der Minister für das Jahr 2023 mit nur 50.000 Pflegebedürftigen mehr gerechnet haben, so habe man bisher "mit einem äußerst unwahrscheinlichen Szenario" gearbeitet.

Nach Rothgangs Rechnung ist ein jährlicher Anstieg von 250.000 Pflegebedürftigen anzunehmen bzw. realistisch. Dass diese Zahl im Jahr 2023 noch übertroffen wurde, könne mit der Corona-Pandemie zusammenhängen, vermutet der Experte. Nach diesem Zusammenhang war auch Lauterbach vom RND gefragt worden. "Könnte das eine Art Nachholeffekt nach der Pandemie sein, in der weniger Menschen einen Pflegegrad beantragt haben, um sich bei der Begutachtung nicht anzustecken?" Lauterbach will diese Hypothese überprüfen lassen. Er hält aber nicht einen Nachholeffekt, sondern vielmehr den beschriebenen Sandwicheffekt für die plausiblere Erklärung.

Was hat Lauterbach noch gesagt?

• Zur Frage, ob noch in dieser Legislaturperiode eine Pflegereform komme: "Eine umfassende Finanzreform in der Pflege wird in dieser Legislatur­periode wahrscheinlich nicht mehr zu leisten sein." Dafür würden die Ansichten der beteiligten Ministerien und der Koalitionspartner zu weit auseinanderliegen. Und auch die dafür verbleibende Zeit würde nicht reichen. Klar sei aber, "dass wir mittel- und langfristig eine solidere Form der Finanzierung der Pflegeversicherung benötigen." Die Arbeit der entsprechenden Arbeits­gruppe sei aber eine gute Grundlage für eine große Pflegereform in der nächsten Wahlperiode. "Dann muss sie aber auch kommen."

Nicht nur, aber auch im DVLAB hat diese Aussicht für Empörung gesorgt: Aha – weil "die Ansichten" über den Lösungsweg zu unterschiedlich sind, lässt die derzeitige Bundesregierung sowohl die Pflegebedürftigen als auch die Langzeitpflege einfach im Regen stehen und setzt die Versorgungssicherheit aufs Spiel. Dabei hatte Lauterbach schon seit längerem für 2024 eine große Pflegereform angekündigt. Sie ist auch nach Überzeugung des DVLAB längst überfällig. Nur kommen wird sie erstmal nicht.

• Zur Frage nach Lauterbachs Vorstellungen, die er in die Arbeitsgruppe eingebracht hat: "Wir brauchen die Pflege-Bürgerversicherung, in die alle einzahlen." Diese Diskussion sei bisher oft ideologisch geführt worden. Das sei aufgrund des finanziellen Drucks jetzt anders, denn nun stelle sich die Frage, wie lange die Pflegeversicherung überhaupt noch bezahlbar bleibe. Deshalb sei neben der Pflege-Bürgerversicherung auch ein höherer Steuerzuschuss nötig, "etwa für die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe". Und drittens schlägt Lauterbach eine Reform der Sozialhilfe für Pflegebedürftige vor. Wer lebenslang hart gearbeitet habe und am Lebensende auf Hilfe zur Pflege angewiesen sei, empfinde das als entwürdigend. "Um den Betroffenen den Gang zum Sozialamt zu ersparen, könnten künftig die Pflegekassen die Hilfe zur Pflege auszahlen." Dafür müssten die bei den Kommunen eingesparten Steuergelder an die Pflegeversicherung fließen.

Quellen: HAZ vom 27. und 28. Mai / rnd.de / carevor9.de

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