LV Hamburg: Themen, die die Praxis bewegen


30.04.2024 - Dr. Marion Hartfiel (Foto) ist nicht nur stellvertretende Bundesvorsitzende des DVLAB, sondern auch Sprecherin der Landesgruppe Hamburg. Ebenso macht sich die Praktikerin als Direktorin einer Hamburger Senioreneinrichtung kontinuierlich Gedanken über viele Themen, die die Langzeitpflege bewegen.

Im Folgenden wirft Marion Hartfiel zu den Fragen von Swaantje Düsenberg einige Schlaglichter darauf, was die Altenhilfe aktuell oder auch kontinuierlich vor Herausforderungen stellt.

Frau Dr. Hartfiel, viele Kolleginnen und Kollegen in der Altenpflege gehören der Baby-Bommer-Generation an und sehen daher ihrem nahenden Ruhestand entgegen. Was bedeutet das für die Einrichtungen und Dienste?

Das ist nicht nur für die Unternehmen ein wichtiges Thema, sondern auch für die vielen Kolleginnen und Kollegen. Auch sie selbst befassen sich mit der Frage, wer ihre berufliche Nachfolge antreten wird bzw. könnte. Allen liegt am Herzen, den Nachwuchs für die Unternehmen in allen Bereichen zu sichern – auch und gerade in den Führungspositionen. Denn nicht nur Pflegekräfte gehen jetzt sukzessive in Rente, sondern das betrifft natürlich auch uns Leitungskräfte.

Personalentwicklung -und planung bleiben also stets aktuelle Themen – und kommen nicht nur dann auf die Agenda, wenn gerade eine Neubesetzung ansteht.

Ganz genau – und zwar nach meiner Beobachtung in allen Einrichtungen und Diensten! Wir hier in Hamburg versuchen zum Beispiel, auch für alle bestehenden Bereichsleiterpositionen einen gleichwertig qualifizierten Mitarbeitenden im Unternehmen zu festigen. Das ist die Quadratur des Kreises! Da ist nicht nur Motivationsarbeit gefragt, sondern das ist auch Risikomanagement!

Dann müsste den Pflegeunternehmen doch daran gelegen sein, wenigstens das vorzeitige Ausscheiden in den Ruhestand bei den Mitarbeitenden zu verhindern. Sehen Sie da Möglichkeiten?

Ein Baustein zur Umsetzung dieses Zieles ist ganz sicher die Betriebliche Gesundheitsförderung, kurz: BGF. Sie wissen ja, dass das schon seit mehr als 25 Jahren zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Und nachdem am 25. Juli 2015 das Präventionsgesetz in Kraft getreten ist, stärkt es die Betriebliche Gesundheitsförderung umso mehr. Schauen Sie sich nur mal den Präventionsbericht 2023 an: Im Berichtsjahr 2022 konnten fast zwei Millionen Beschäftigte in knapp 26.500 Betrieben mit BGF-Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention angesprochen werden. Eine enorme Steigerung im Vergleich zum Vorjahr!

Verfügen Sie dazu auch in Ihrem Unternehmen über Erfahrungen?

Ja, und zwar über sehr positive Erfahrungen. Wir haben zum Beispiel für zwei Jahre ein Projekt mit insgesamt 100.000 Euro (!!!) gefördert bekommen! Damit werden unsere Mitarbeitenden am Arbeitsplatz begleitet, zu ergonomischer Arbeitsweise geschult und je nach individuellen Bedürfnissen bzw. persönlichen Einschränkungen beraten. Ebenso dazu gehört die Ausbildung von Health Coaches. Das kommt übrigens gerade bei den Pflegekräften super an, aber auch unsere Haus- Reinigung oder die Haustechnik nehmen diese BGF-Angebote sehr gerne in Anspruch.

Klingt nach gutem Erfolg...

... der aber nicht vom Himmel fällt, wenn man sich nicht dahinterklemmt. Deshalb rate ich meinen Kolleginnen und Kollegen, sich mal mit dem "Leitfaden Prävention" zu befassen. Den hat der GKV-Spitzenverband aufgrund der Vorgaben des neuen Präventionsgesetzes im Dezember 2023 aktualisiert. Darin sind die inhaltlichen Handlungsfelder und qualitativen Kriterien für die Leistungen der Krankenkassen in der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung festgelegt. Die Krankenkassen dürfen nur Maßnahmen fördern, die diesem Leitfaden entsprechen. Das gilt auch für die Betrieblichen Gesundheitsförderung, sie muss immer exakt auf die Bedürfnisse im Unternehmen zugeschnitten sein.

Übrigens: Ich bin davon überzeugt, dass die BGF für Pflegekräfte und das Thema „gesund pflegen“ in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen wird. So hat beispielsweise auch der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege soeben in seinem Gutachten "Fachkräfte im Gesundheitswesen – Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource" empfohlen, Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Primärprävention im betrieblichen Kontext stärker zu fördern und zu erweitern und hierbei sowohl bei der Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention anzusetzen.


Wenn wir jetzt nochmal an Einrichtungen denken, in denen alte und pflegebedürftige Menschen wohnen – welches Thema kommt Ihnen dann spontan noch in den Sinn?

Zum Beispiel das Thema Barrierefreiheit in Pflegeeinrichtungen. Ich bin jetzt nicht genau über die gesetzlichen Vorgaben in den anderen Bundesländern informiert – aber zumindest in Hamburg läuft zum Jahresende 2024 der Bestandsschutz zur Barrierefreiheit in Pflegeeinrichtungen nach 10 Jahren Übergangsfrist nun aus. Möglicherweise ist das auch in anderen Bundesländern der Fall. Dann müssen bestehende Gebäude an die Anforderungen der Barrierefreiheit angepasst werden.

Richtig verstanden bedeutet das andernfalls, dass Einrichtungen tatsächlich die Schließung riskieren, wenn die Wohn-Pflegeaufsicht dann gravierende Mängel bei der Barrierefreiheit feststellt?

Das sehen Sie völlig richtig. Ich gebe nämlich zu bedenken, dass zur Barrierefreiheit mehr gehört als lediglich die stufenlose Nutzung des gesamten Hauses, der Bäder, des Gartens etc. Mitbedacht werden müssen vielmehr beispielsweise auch seh- und hörgeschädigte Nutzer*innen, für die z.B. die Alarmierung im Brandfall oder bei einem Notfall im Aufzug ebenfalls barrierefrei sein muss. Zumindest bei uns in Hamburg lohnt sich für Leitungskräfte also die zügige Prüfung, wie ihre Einrichtung in dieser Hinsicht aufgestellt ist.

Über alle diese Fragen hinaus machen Sie sich sicher auch darüber Gedanken, wie es speziell mit dem Konzept der stationären Vollzeitpflege weitergehen kann, generell, aber auch in Ihrem Hause.

Selbstverständlich! Das trifft erstmal vor allem auf den DVLAB zu, der sich intensiv mit der Zukunft der Pflege, zumal der stationären Pflege befasst. Da sehen wir natürlich auch die Zahlen – also wie groß bereits heute der Personalmangel ist und welche Ausmaße er durch die Verrentungswelle der Baby-Boomer annehmen wird. Diese Lücke werden die nachfolgenden Generationen nicht mehr schließen können. Und schon jetzt bleiben Pflegeplätze frei, weil zu wenig Personal da ist. Wir sehen aber auch die immer problematischer werdende finanzielle Situation sowohl der Pflegeanbieter als auch der Pflegebedürftigen. Kurz: Wir als DVLAB halten eine umfassende Reform der Altenhilfe für überfällig. Die Kranken- und Pflegeversicherung müssen auf neue Beine gestellt werden, wir brauchen die Aufhebung der Sektorengrenzen, eine individuelle Bedarfsprüfung, die Einführung eines persönlichen Budgets für Pflegebedürftige sowie ihre Versorgung nur noch in der eigenen Häuslichkeit. Außerdem ist die künftige Einbindung von Angehörigen und der Zivilgesellschaft in die Betreuung von pflegebedürftigen Menschen unerlässlich.

Und wie sieht es in Ihrer Einrichtung aus?

Nun, wir sind ein sehr hochpreisiges Haus mit hervorragendem Personal-Schlüssel – aber wie lange kann sich das noch halten? Welche Diagnosen / pflegerische Besonderheiten können wir fachlich gut bedienen? Und wie werden die „Kundinnen und Kunden“ künftig reagieren?

Möglicherweise wäre „Stambulant“ für viele derzeitig vollstationären Häuser eine Lösung?

Ich habe gelesen, dass unser Bundesgesundheitsminister mit dem geplanten Pflegekompetenzgesetz die "stambulante Versorgung" als dritte Pflegeform in Deutschland ermöglichen will. Aber wie soll die nach Herrn Lauterbachs Vorstellungen denn aussehen? Und wird er damit nicht die sektorale Pflege eher betonieren statt sie aufzulösen? Fragen über Fragen. Eigentlich gibt es zur Zeit überall mehr Fragen als Antworten – und das erschwert es der Altenpflege enorm, sich auf den Weg zu machen, weil auf keine Rahmenbedingungen mehr Verlass ist. Juristisch nicht und wirtschaftlich auch nicht.

Danke für Ihre Einschätzungen, Frau Dr. Hartfiel!









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