Heinz Rothgang: Einschätzungen zur Pleitewelle in der stationären Pflege


02.10.2023 - Der Bremer Gesundheitsökonom Prof. Heinz Rothgang (Foto) hat sich in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst zur Insolvenzwelle in der stationären Altenpflege geäußert. Für die Versorgung schätzt Rothgang die Heim-Pleiten allein noch nicht als gravierend ein, dennoch hält er die Situation für schlimm.

Laut Rothgang sind viele Faktoren für die Entwicklung verantwortlich. An erster Stelle nennt er dazu den Personalmangel, in dessen Folge Kapazitäten stilllegen werden müssten. Dann stimme die Kalkulation nicht mehr. Jeder ungeplante Leerstand führe letztlich zu Defiziten bei der Refinanzierung der Gemeinkosten und der Investitionskosten, insbesondere wenn die Kalkulation auf Kante genäht sei.

Als weiteres Risiko zeigt Rothgang neben der allgemeinen Inflation im vergangenen Jahr vor allem Indexmietverträge auf, die an die Inflation gekoppelt sind. "Und natürlich gibt es auch Managementfehler und strategische Marktbereinigungen. So werden in den großen Ketten unter Kostendruck einzelne Einrichtungen, die sich nicht mehr tragen, geschlossen, um die ganze Kette zu stabilisieren."

Danach gefragt, wie schlimm die Lage wirklich ist, sagt Rothgang, die Pleiten alleine seien für die Versorgung gar nicht so schlimm. Er nennt sie aber "Anzeiger für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Anbieter". Und: "Zusammen mit den Leerständen, die wir in Einrichtungen haben, fehlenden Neubauten, die wir seit Jahren haben, ist die Lage aber auch für die Versorgungssicherheit schon schlimm." Das betreffe auch ambulante Pflegedienste, die manche Pflegebedürftige nicht mehr versorgen sowie neue Kund*innen nicht mehr aufnehmen könnten. "Dazu kommt, dass die Anpassungen der Pflegeversicherungsleistungen die Inflation nicht ausgleichen. Wir haben also in Wirklichkeit einen permanenten Realwertverlust der Versicherungsleistungen."

Auf den Fachkräftemangel angesprochen, möchte Rothgang diesen Begriff durch Pflegekräftemangel ersetzen. Nach seinem Eindruck bezieht sich der Mangel nämlich inzwischen auch auf Assistenzkräfte mit ein- und zweijähriger Ausbildung. "Die gute Nachricht ist, dass hier schneller etwas getan werden kann." So könne man beispielsweise Personen, die in der generalistischen Ausbildung gescheitert seien, den Weg in einen Pflegeassistenzberuf ebnen, damit sie der Pflege nicht verloren gingen.

Insgesamt sieht Rothgang es zentral für Pflegeheime an, "die Spielräume, die die neuen Personalobergrenzen schaffen, so schnell und umfassend wie möglich auszuschöpfen".

Darüber hinaus bringt laut Rothgang die schlechte Zahlungsmoral von Sozialhilfeträgern die Einrichtungen an den Rand des Ruins. „Es gibt zig Millionen Rückstände“, so der Experte. Für ihn ist die Sache ganz einfach und trivial: "Die Sozialhilfeträger müssen ihre Rechnungen bezahlen, und zwar zügig."

Zusätzlich fordert er mehr Flexibilität bei den Pflegesatzverhandlungen. "Wenn die Kosten aufgrund der unerwarteten Inflation explodieren, kann man nicht sagen, die nächsten Verhandlungen sind in einem Jahr. Da haben die Kostenträger einfach gemauert." Und wenn wegen Personalmangel absehbar sei, dass bestimmte Belegungen auch im nächsten Jahr nicht erreicht werde, dann müsse die Kalkulation angepasst werden und mal auch nur 90 Prozent Belegung vereinbart werden können. Insgesamt sieht Rothgang es zentral für Pflegeheime an, "die Spielräume, die die neuen Personalobergrenzen schaffen, so schnell und umfassend wie möglich auszuschöpfen".

Quelle: w.epd.de



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