Haushaltsentwurf im Bundestag: Ausblendung der aktuellen Lage?


08.09.2023 - Der Bundesfinanzminister hat den Entwurf des Bundeshaushaltes 2024 zur Beratung in den Deutschen Bundestag eingebracht. Im Verlauf seiner Rede wertete Christian Lindner die dazu von allen Seiten kommende Kritik als Zeichen für die Ausgewogenheit des Entwurfes. In den kommenden drei Monaten werden die Fraktionen nun den geplanten Etat beraten und am 1. Dezember darüber dann abstimmen. Die Hoffnung, dass bis dahin noch deutlich nachjustiert wird, ist gering.

Mit dem zur Diskussion stehenden Bundeshaushalt 2024 will Lindner „zurück zu langfristig tragfähigen Staatsfinanzen“. Denn wer den Ausstieg aus der Krisenpolitik nicht finde, gefährde die Stabilität des Gemeinwesens. „Bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen geht es nun darum, wieder eine vernünftige Balance zwischen Staat und Privat zu lernen“, so Lindner.

Dem Bundesfinanzminister geht es also um eine Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität, die Zeit der krisenbedingten Mehrausgaben erscheint ihm vorbei. „Die Ausblendung der aktuellen Lage ist beeindruckender als der Haushalt selbst“, kommentiert dazu das Dezernat Zukunft, ein überparteilicher Thinktank. Ihm fehlen im Haushaltsentwurf klare Prioritäten. Das Finanzministerium dagegen sieht Investitionschwerpunkte beim Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt, bei der Digitalisierung, Bildung und inneren wie äußeren Sicherheit sowie bei der Verkehrsinfrastruktur. Gesundheit und Pflege gehen dagegen leer aus.

Die Frage ist auch, was Normalität in heutigen und morgigen Zeiten überhaupt bedeutet. Mal abgesehen vom Klimawandel oder Russlands Krieg gegen die Ukraine – beides wie anderes erfordert maximale Anstrengung – türmen sich die Probleme auch mit nationalem Blick. Beispiel: die Langzeitpflege. Kann Folgendes noch mit „finanzpolitischer Normalität“ beantwortet werden?

• Im stationären Bereich sind die Eigenanteile im ersten Halbjahr 2023 erneut gestiegen, wie eine aktuelle Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt. Hier liegt der Bundesdurchschnitt derzeit bei 2.614 Euro im Monat (2.479 Euro im Vorjahr). Pflege wird also zum Luxusgut oder ist es bereits.

• Der Fachkräftemangel ist heute schon dramatisch und wird sich durch die demografische Entwicklung noch weiter verschärfen.

• Die Versorgungssicherheit ist ambulant wie stationär akut bedroht.

Und mit welchem Rezept will die Bundesregierung im Haushaltsentwurf dagegenhalten? Statt mit einer grundlegenden und längst überfälligen Pflegereform – mit Einsparungen! Nicht nur, dass sich keine vernünftige und nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung abzeichnet, sie soll nun zusätzlich ab 2024 in den kommenden Jahren auch noch auf den Bundeszuschuss in Höhe von jährlich einer Milliarde Euro verzichten. Zum Ausgleich sollen die Zahlungen der Pflegeversicherung an die sogenannte Demografie-Unterstützungskasse in etwa gleicher Höhe gekürzt werden.

Das alles dürfte sich noch als Bumerang erweisen und in der Pflege über kurz oder lang zu Leistungskürzungen oder Beitragserhöhungen führen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach räumte in der Aussprache ein, dass sein Etat am stärksten schrumpfe und damit zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitrage. Zugleich hält er große Reformen im Gesundheitssystem jedoch für unerlässlich. Aber wie lange will die Bundesregierung damit eigentlich noch warten?

Die Pflege ist aber nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar von Lindners Sparkurs betroffen. Zwei Beispiele:

• Kürzungen beim Freiwilligendienst: Die Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) und des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) soll 2024 um insgesamt € 78 Millionen und 2025 um weitere € 35 Millionen gekürzt werden. Daraus lässt sich errechnen, dass etwa jede vierte Einsatzstelle wegfallen würde und pädagogische Fachkräfte zur Begleitung der Freiwilligen gekündigt werden müssten. Wurde hier eigentlich mitgedacht, dass über 10 Prozent aller Schulabgänger*innen eines Jahrgangs einen Freiwilligendienst absolvieren – und rund zwei Drittel davon dem sozialen Bereich im Anschluss daran auch weiterhin verbunden bleiben? Nicht wenige davon auch in Form einer Ausbildung, ein willkommener „Klebeeffekt“. Gerade deshalb hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag ja vereinbart, die Freiwilligendienste nachfragegerecht ausbauen zu wollen. Nun geschieht das exakte Gegenteil, indem die Mittel heruntergefahren werden. Dabei wird jede künftige Fachkraft existenziell gebraucht!

• Kürzungen bei der Migrationsberatung: Seit 70 Jahren hat Deutschland nicht mehr so viel Zuwanderung erlebt wie heute. Alle diese Menschen bringen die potenzielle Möglichkeit mit, sich hier generell zu integrieren und auch den hiesigen Arbeitsmarkt zu bereichern. Immer vorausgesetzt, die erwachsenen Zuwandernden werden in diesen Prozessen unterstützt und beraten. Doch statt die Mittel dafür aufzustocken, wird der Etat hier um 24 Millionen gekürzt – also um fast ein Drittel der Förderungssumme aus 2023. Dabei braucht Deutschland nicht weniger Beratung und Begleitung dieses Personenkreises, sondern mehr.
Das sind nur zwei Beispiele von vielen aus dem „Sparkatalog“ des Bundesfinanzministers, die eine arbeitsmarktpolitische Kurzsichtigkeit offenlegen und die ebenfalls auf den ohnehin schon vorhandenen Fachkräftemangel in der Pflege negativ durchschlagen werden.

Der DVLAB Bundesvorsitzende Peter Dürrmann hat mit Recht schon vor vielen Monaten bemängelt: „Es ist fachlich nicht zu vertreten, diese gesamte Legislaturperiode untätig herzuschenken. Es benötigt jetzt eine umfassende Reform der Pflege- und Krankenversicherung. Und wir brauchen ein konsistentes fach- und sachgerechtes Gesamtkonzeptes für unsere Zukunft. Andernfalls werden wir erleben, wie die jetzigen Problemlagen in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren zu gravierenden Mängeln führen – zum Leidwesen der auf Pflege und Unterstützung angewiesenen Menschen sowie der Leistungsanbieter.“

Der DVLAB wird daher seinen 28. Bundeskongress in Berlin nutzen, um mit namenhaften Referentinnen und Referenten aus der Politik, Wissenschaft und Altenhilfe die zukunftsfeste Neuausrichtung der Altenhilfe aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und zu diskutieren.


zurück


DVLAB e.V.
Bahnhofsallee 16 | D-31134 Hildesheim
Telefon: 05121-2892872 | Telefax: 05121-2892879
E-Mail: info@dvlab.de
Impressum | Datenschutz
©
Admin
- 394442 -