Allgemeine Impfpflicht gegen Corona: Abgeschmettert!


07.04.2022 - Die Spitzen der Länder wollten sie, der Bundeskanzler und Gesundheitsminister Lauterbach sowieso - aber daraus wird nichts: Der Bundestag hat heute der allgemeinen Corona-Impfpflicht in jeder Variante eine Absage erteilt. Es wird also vorerst für niemanden in Deutschland damit etwas. Nur die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die mussten und müssen ran.

Frühe große Versprechen
Das Debakel hat eine lange Vorgeschichte. Schon vor Monaten und noch vor Antritt seines Amtes hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz für eine allgemeine Impfpflicht der erwachsenen Bevölkerung ausgesprochen. Angekündigt war, dass sie Anfang Februar 2022, spätestens März kommen soll.

Leichter gesagt als getan - in der neuen Ampelkoalition kristallisierte sich dafür keine Mehrheit heraus. Widerstand kam hauptsächlich aus der FDP-Bundestagsfraktion, angeführt vom Vize-Parlamentspräsidenten Wolfgang Kubicki und seinem strikten Nein zur Impfpflicht.

Es muss als politischer Schachzug gewertet werden, dass die Bundesregierung in Folge fehlender eigener Mehrheit keinen eigenen Antrag einbringen wollte. Unter dem Deckmäntelchen einer "Gewissensentscheidung ohne Fraktionszwang" sollten die Anträge nun aus der Mitte der Bundestagsabgeordneten erarbeitet und vorgelegt werden.

Lange Reden und fünf Anträge
Nach einer Orientierungsdebatte entstanden fünf Anträge. Zwei gegen die Impfpflicht, drei dafür: ab 18, ab 50 sowie Impfung mit Altersstaffelung nach Aufbau eines Impfregisters ggf. ab Herbst. Die Anträge wurden jeweils fraktionsübergreifend unterstützt, aber nach irgendeiner Mehrheit sah keiner so richtig aus.

Zwei Entwicklungen minderten die Chancen weiter: Erstens verdrängte der Angriffskrieg Putins das Thema und bindet seitdem alle Ressourcen der Politik. Zweitens hat sich mittlerweile die Virusvariante Omikron in Deutschland durchgesetzt. Die Infektionszahlen schossenen zwar in nie gekannte Höhen, aber Omikron hat bei Infizierten mildere Krankheitsverläufe im Gepäck. Dem Gesundheitssystem droht keine Überlastung, also warum noch eine Impfpflicht? Die Impfbereitschaft in der Bevölkerung stagniert ohnehin, ist wie festgetackert bei rund 76 % doppelt Geimpfte.

Die Zeit geht ins Land und mit ihr die Gewissheit, dass eine Impfpflicht Ü18 keine Chance mehr hat. Auch ein Kompromiss, die Pflicht für alle jenseits des 50. Lebensjahres zu beschließen, wird nochmal abgeändert, das Alter auf 60 Jahre hochgesetzt.

Die Abstimmung
Und dann kommt Donnerstag, der 7. April. An diesem Tag stimmt der Bundestag über die Impfpflicht ab. Dafür hat der Bundeskanzler eigens die grüne Außenministerin Beerbock vom Nato-Gipfel abberufen, denn in Berlin zählte heute jede Stimme.

Das Ergebnis kurz und knapp: Alle vier Anträge werden abgeschmettert.
• Keine Mehrheit für eine Impfpflicht für alle ab dem 60. Lebensjahr. Dieser Kompromiss war noch der aussichtsreichste von allen Vorschlägen gewesen.
• Auch keine Mehrheit für den Antrag von CDU und CSU, nicht jetzt, sondern je nach Infektionslage im Herbst 2022 über eine Impfpflicht zu entscheiden (Impfvorsorgegesetz).
• Und ebenfalls keine Mehrheit für die Anträge der FDP und der AfD jeweils gegen eine Corona-Impfpflicht. Die AfD hatte zusätzlich auch beantragt, die seit Mitte März geltende Impfpflicht für das Personal im Gesundheitswesen abzuschaffen.

Für die Bundesregierung ist das ein Desaster, dass eine so wichtige Frage im Machtspiel der Parteien zerrieben wurde. Für die Nation ist das ein herber Rückschlag in der Pandemie-Bekämpfung. Nun wird es im Herbst noch schwerer werden, eine mögliche nächste Corona-Welle in Schach zu halten.

Reaktionen
Die Evangelische Heimstiftung bezeichnete die Diskussion im Bundestag laut altenheim.net als letzten Akt im Drama „Die vergeigte Impfpflicht“. „Wir sind sehr enttäuscht. Den Verantwortlichen in Berlin muss klar sein, dass sie einen Kollaps des Pflegesystems im Herbst riskieren. Ohne die Impfpflicht schlittern wir im Herbst mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in die nächste Coronawelle und womöglich noch in die nächste, gefährliche Virusvariante. Leidtragende werden dann wieder die Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen und auf Intensivstationen sei“, sagte Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sprach von einem "Scherbenhaufen, den alle Parteien zu verantworten haben". Diakonie-Präsident Ulrich Lilie befundete "Politikversagen", für das alle Menschen bezahlten, die auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen seien. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil empfand die fehlende Einigung als "bitter" und befürchtete "im schlimmsten Fall im Herbst und Winter wieder eine Überforderung des Gesundheitssystems und weitreichende Schutzmaßnahmen mit den damit verbundenen Einschränkungen für alle erleben", wenn es nicht doch noch zu einer Impfpflicht komme. Nur die AfD sprach von einem "guten Tag für die Grundrechte".

Der Sozialverband Deutschland appellierte an Parlament und Bundesregierung, die Gespräche über eine allgemeine Impfpflicht weiterzuführen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat das trotz der jetzt herben Enttäuschung wohl vor. "Um unnötige Opfer im Herbst zu vermeiden, sollte der Versuch nicht aufgegeben werden, bis dahin trotzdem eine Impfpflicht zu erreichen", sagte er laut tagesschau.de. Und auf Twitter schrieb Lauterbach: "Es helfen keine politischen Schuldzuweisungen. Wir machen weiter."

Das sagt der DVLAB
Das ist auch aus Sicht des DVLAB dringend geboten. Der Verband hatte bereits seit letzten Herbst für eine allgemeine Impfpflicht geworben. Wie viele, die das Abstimmungsergebnis und das politische Ränkespiel um eine so wichtige Frage jetzt empören, blickt auch der DVLAB mit großer Besorgnis auf den kommenden Herbst. Verbandschef Peter Dürrmann: "Die zu geringe Impfbereitschaft in der Bevölkerung gerade unter den über Sechzigjährigen zeigt doch, dass wir nur mit einer Verpflichtung weiterkommen und insbesondere die vulnerablen Gruppen schützen können."

Übrigens: Die Besucher*innen in Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe sind mehrheitlich um die 60 Jahre, denn sie haben dort ihre hochaltrigen Eltern wohnen.







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